Es gibt Momente, in denen alles passt. Ich sitze zu Hause an meinem Klavier und spiele ein Stück, das ich irgendwann einmal erlernt habe. Meine Finger finden wie von selbst die richtigen Tasten, während mein Geist abschweift, irgendwo zwischen Konzentration und Loslassen.
Für mich ist das Klavierspielen eine Art Meditation. Natürlich gibt es auch andere Phasen – etwa beim Erlernen neuer Werke oder kurz vor einem Konzert. Doch häufig gibt es mir genau das, was ich brauche: Ruhe, Klarheit und ein Gefühl von Selbstwirksamkeit.
Wenn ich ganz in der Musik versinke, vergeht die Zeit wie im Flug. Ich spiele, ohne zu denken. Ohne Ziel, ohne Plan, nur im Moment. Erst viel später habe ich erfahren, dass dieser Zustand einen Namen hat: Flow.
Und tatsächlich: In solchen Momenten denke ich nicht darüber nach, wie ich spiele. Ich spiele einfach. Nur der Moment zählt und alles andere wird still.
Flow ist kein Mythos, kein esoterisches Konzept, sondern ein gut erforschtes psychologisches Phänomen. Und: Er lässt sich nicht nur erleben, sondern auch gezielt trainieren.
Was ist Flow überhaupt?
Der Begriff geht auf den Psychologen Mihály Csíkszentmihályi zurück. Flow ist der Zustand optimaler Erfahrung. Wenn Menschen in einer Tätigkeit vollständig aufgehen, mit ihr verschmelzen, in ihr aufgehen.
Typisch für diesen Zustand sind:
ein tiefes Eintauchen in eine Tätigkeit
der Verlust des Zeitgefühls
das Gefühl intensiver Konzentration
ein starkes Gefühl der Kontrolle über den Tätigkeitsverlauf
hohe Leistungsfähigkeit und Kreativität
eine tiefe, innere Zufriedenheit
Wann entsteht Flow?
Flow entsteht vor allem dann, wenn Anforderung und Fähigkeit miteinander im Einklang stehen. Liegt eine Aufgabe genau zwischen Unter- und Überforderung – ist sie also herausfordernd, aber gut zu bewältigen –, kann Flow eintreten (siehe Abbildung).
Nicht alle Bedingungen müssen zu 100 % erfüllt sein. Doch je mehr von ihnen zusammenkommen, desto wahrscheinlicher ist das Auftreten von Flow.

Der Flow-Zustand kann bei ganz unterschiedlichen Tätigkeiten auftreten: Wenn wir beispielsweise musizieren, arbeiten oder einen Vortrag halten.
So kannst du gezielt in den Flow kommen
Die Voraussetzungen sind klar, doch der Alltag ist oft ein Hindernis: Permanente Erreichbarkeit, fragmentierte Aufmerksamkeit, ständiger Kontextwechsel erschweren es, den Fokus zu halten – selbst wenn die Aufgabe an sich eigentlich passt.
Die gute Nachricht: Viele Hindernisse lassen sich aktiv verringern. Es gibt konkrete Strategien, mit denen du dein Mindset, deine Umgebung und deine Arbeitsweise gezielt gestalten kannst, um Flow wahrscheinlicher zu machen.
Mentales Aufwärmen: Atemübungen, Musik oder Journaling helfen, anzukommen.
Ablenkungen minimieren: Smartphone in den Flugmodus schalten, störende Apps schließen, Grenzen kommunizieren.
Fokus-Zeitslots einplanen: etwa 90 Minuten ungestörte Arbeit sollten möglich sein: eine Aufgabe, keine Ablenkung.
Zwischenziele setzen: kleine Etappen schaffen Struktur und Klarheit.
Fortschritte sichtbar machen: eine To-Do-Liste, die du abhaken kannst, liefert direktes Feedback und motiviert.
Soziale Mikroimpulse nutzen: kurze, ungezwungene Gespräche können neue Perspektiven bringen und Kreativität anregen.
Flow ist auch Führungsaufgabe
Und was können Unternehmen tun, damit Flow nicht nur im Hobbybereich, sondern auch im Arbeitsalltag entsteht?
Eine ganze Menge, sagt Corinna Peifer. Sie hat gemeinsam mit ihrem Kollegen Georg Wolters eine Übersichtsstudie zum Flow-Erleben am Arbeitsplatz veröffentlicht. Ihre zentrale These: Organisationen können Flow nicht verordnen – aber ermöglichen. Und das schon mit kleinen Stellschrauben.
Was wirkt?
Klarheit und Zielorientierung
Wer weiß, woran er oder sie arbeitet und warum, kann sich besser auf das Wie konzentrieren.
Stärkenorientierte Aufgabenverteilung
Je besser die Aufgabe zur eigenen Kompetenz passt, desto höher die Chance, in den Flow zu kommen.
Gestaltungsfreiraum und Vertrauen
Wer Aufgaben eigenverantwortlich lösen darf, erlebt eher Flow – weil Autonomie eine zentrale Voraussetzung ist.
Fehlerfreundliche Lernkultur
Flow setzt die Bereitschaft voraus, Neues auszuprobieren. Dafür braucht es Sicherheit – nicht im Sinne von Gewissheit, sondern im Sinn eines Umfelds, in dem Lernen erlaubt ist.
Konzentriertes Arbeiten ermöglichen
Wer offene Büros baut, sollte auch Rückzugsräume bieten. Für viele Mitarbeitende wäre es schon hilfreich, wenn Meetings nicht einfach so in den Kalender rutschen – sondern bewusst geplant werden.
Gibt es einen „Point of No Return”, wenn man aus dem Flow gebracht wurde?
Nein. Es gibt keinen Kipppunkt, ab dem der Zustand endgültig verloren wäre.
Aber: Je öfter wir uns ablenken oder unterbrechen lassen, desto schwieriger fällt der Wiedereinstieg. Flow kann langsam verschwinden, wenn Fokus, Motivation oder innere Ruhe bröckeln.
Doch das Gute ist: Flow ist kein Zufall. Er lässt sich gezielt aufbauen, vorbereiten und sogar wiederherstellen, selbst dann, wenn man zwischenzeitlich mal abschweift.
Und auch jetzt, während ich diesen Text schreibe, merke ich: Sobald ich einmal angefangen und mich eingefunden habe, fließt es fast wie von selbst. Ich schreibe entspannter und fokussierter – und genau das ist es, was Flow möglich macht.
Ob du arbeitest, laufen gehst, musizierst oder schreibst – Flow kann überall dort entstehen, wo du ganz bei der Sache bist. Dafür bedarf es keiner perfekten Vorbereitung. Es reicht, wenn du dich bewusst darauf einlässt. Denn Flow ist kein Zufall, sondern ein Zustand, den du mit der richtigen Haltung und ein bisschen Mut aktiv fördern kannst.
