Es ist Herbst 2023. Eine junge Frau hat die Kamera auf sich gerichtet, ihre Stimme bebt. "Ich hatte gerade den größten Nervenzusammenbruch meines Lebens," beginnt sie. Der Grund? Sie ist auf Jobsuche. Ein Arbeitgeber bietet ihr frisches Obst im Büro und 30 Urlaubstage im Jahr. Die Aussicht auf diesen geregelten Job macht ihr Angst. “Wir reden hier von einem ganzen Jahr!" ruft sie aus. “Mittlerweile ist es Standard, dass zwei Leute in einem Haushalt Vollzeit arbeiten. Das bedeutet: keine Freizeit, man sieht sich nicht, weil man nur arbeiten geht."
Sie schaut in die Kamera, den Tränen nahe. "Für was bin ich in die Schule gegangen, habe mein Abi gemacht, hab studiert?" Wann, fragt sie, würden wir alle endlich kollektiv die Arbeit einstellen?
Realitätsschock oder Realitätssinn?
Die Kommentare unter dem Video überschlagen sich. "Willkommen in der Realität." – "Das ist doch jetzt ein Witz, oder?" – "Vielleicht sollte sie nach Utopia auswandern."Häme, Spott, Augenrollen. Aber hier und da auch Verständnis.
Auch ich kenne diese Situation: Bei einem Besuch bei meinen Eltern fragte mich der Nachbar mit neugierigem Blick: „Und, wie läuft’s im Job?“ Als ich ihm sagte, dass ich 20 Stunden arbeite, zog er die Augenbrauen hoch. „Aha. Und was machst du mit dem Rest der Zeit?“ Ich lachte und sagte: „Leben.“ Aber er schien das nicht als ernsthafte Antwort zu akzeptieren.
Der Clash der Generationen
Hier prallen Welten aufeinander. Die hart arbeitenden Babyboomer treffen auf die Millennials und Generation Z. Die “Generation Jammerlappen”, wie die Boulevard-Presse sie nennt. Vor allem die Babyboomer verstehen die Welt nicht mehr. Viele von ihnen sagen: Wenn wir nicht bald wieder mehr arbeiten, wird unsere Gesellschaft zusammenbrechen. Es stimmt: So, wie unser System bisher aufgebaut ist, verlangt es Arbeiter*innen und Angestellten hohe individuelle Opfer ab. Wer dieses System in der gleichen Weise weiter erhalten will, muss auch weitermachen wie bisher. Doch so deutlich sagt das niemand. Stattdessen heißt es: Wer sich nur genug anstrengt, wirklich arbeiten will und einfach mal aufhört zu jammern, dem blüht Erfolg.
Doch selbst das verfängt nicht, wenn die eine Seite nicht mehr weiß, wovon die andere überhaupt spricht: Warum kann unsere Gesellschaft denn nicht an neuen Werten orientiert sein? Und was bedeutet Erfolg heutzutage überhaupt noch?
Bisher war das klar: Statussymbole definieren Erfolg. Doch diese Vorstellung bröckelt: Ich selbst jage keinem teuren Auto, keiner teuren Uhr oder keiner teuren Wohnung hinterher – und vielen Menschen aus meiner Generation geht es ähnlich. Trotzdem fällt es mir schwer, eigene Erfolgskriterien zu formulieren.Sind es enge Freundschaften, ausreichend Freizeit und mentale Gesundheit? Vielleicht. Warum fällt es mir so schwer, meine eigenen Erfolgskriterien, meine eigenen Statussymbole zu definieren? Und warum fällt es mir noch schwerer, das genauso laut und stolz zu sagen wie jemand, der sich gerade ein teures Auto gekauft hat?
Wenn Erfolg uns kaputtmacht
Während einige sich noch am alten Narrativ festklammern, zeigt die Realität längst: Unser bisheriges Erfolgsmodell funktioniert nicht. Es ist nichts weiter als eine Illusion, ein Irrweg, ein Selbstbetrug.
Der einstige Erfolg fühlt sich heute wie eine Krankheit an, und die Zahlen untermauern dieses Gefühl: 55-Stunden-Wochen erhöhen nachweislich das Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle. Die Burnout-Raten steigen kontinuierlich an. Ein Viertel aller Arbeitnehmer:innen in Österreich plant, den Job zu wechseln.
Doch das ist nur der persönliche Preis. Gesellschaftlich fördert unser System Konkurrenzdenken, Ellenbogenmentalität und den Zerfall echter Gemeinschaft. Die New York Times titelt "Die US-Wirtschaft rast voran, fast alles andere bleibt zurück" und beleuchtet die Kehrseite des wirtschaftlichen Aufschwungs. Denn wirtschaftlicher Aufschwung bedeutet nicht gleich einen höheren Lebensstandard für alle. Ganz im Gegenteil: Die starke Wirtschaftsleistung in Amerika hat vor allem den wohlhabendsten zehn Prozent Vorteile gebracht.
Und dann ist da noch die ökologische Dimension: Unser System basiert auf Wachstum – und zerstört damit unsere eigene Lebensgrundlage.Der Earth Overshoot Day rückt jedes Jahr weiter nach vorne. 2024 fiel er auf den 1. August. Das bedeutet, dass wir bereits zu diesem Zeitpunkt mehr Ressourcen verbraucht haben, als unser Planet in einem Jahr regenerieren kann.
Und trotzdem tun wir so, als sei das alles normal. Als könnte es nicht anders sein.
New Success – eine neue Geschichte
Jetzt mal ehrlich: Wie kann ein System, das uns krank macht, unsere Umwelt zerstört und uns zu Konkurrent:innen statt zu Verbündeten macht, jemals ein erstrebenswertes Erfolgsmodell sein? Vielleicht liegt die eigentliche Frage nicht darin, wie wir innerhalb dieses Systems erfolgreich sein können – sondern ob wir ein völlig neues Verständnis von Erfolg brauchen.
Meine Überzeugung ist: Wer heute noch glaubt, dass Erfolg vor allem Geld, Status und Selbstoptimierung bedeutet, hat den Schuss nicht gehört.
Und genau hier beginnt unsere Reise auf dieser Plattform.
Das Team und ich haben keine fertigen Antworten. Keine Patentrezepte. Wir sind nicht allwissend. Aber wir haben oft genug gesehen: Unser altes Verständnis von Erfolg funktioniert nicht mehr. Es ist Zeit, „Old Success“ hinter uns zu lassen und gemeinsam ein neues wirtschaftliches Wertesystem zu definieren: „New Success“. Ich lade euch ein, uns auf diesem Weg zu begleiten. Lasst uns herausfinden, was Erfolg wirklich bedeutet – für uns, für unsere Gesellschaft und für unsere planetare Zukunft. Wir freuen uns über Hinweise auf wissenschaftliche Studien, Expertisen, spannende Essays und Fallbeispiele. Nach und nach soll hier ein Bild von New Success entstehen, von einer Vision ökologisch und sozial nachhaltigen Wirtschaftens.Denn wie schon die Soziologin Frigga Haug sagte: „Ohne Vorstellung, wie eine andere Gesellschaft sein könnte, lässt sich schwer Politik machen.“
