Michael Phelps steht auf dem Podest, Goldmedaille Nummer 23 um den Hals. Jubel, Kameras, Weltrekorde. Er wirkt wie der Inbegriff des Erfolgs – diszipliniert, fokussiert, unbesiegbar. Doch kurz nach Olympia 2008 bricht er zusammen. Keine Wettkämpfe mehr, keine Ziele, keine Kameras. Statt Erfüllung bleibt Leere. In einem Interview sagte er später: „I am extremely thankful that I did not take my life“.

Ein extrem starkes Symbol des Erfolgs unserer Zeit stand kurz davor, sich das Leben zu nehmen. Und das ausgerechnet in dem Moment, in dem er alles erreicht hatte.

Erfolg funktioniert wie ein Rausch

Diese Geschichte zeigt: Erfolg ist kein stabiler Zustand. Er funktioniert wie ein Rausch. Jeder Sieg, jede Beförderung, jedes Like löst im Gehirn eine Welle von Dopamin aus. Das Hochgefühl ist kann intensiv sein, aber immer ist es flüchtig. Schon kurz darauf fällt der Spiegel ab. Psycholog:innen nennen das den „hedonischen Adaptationsprozess“: Wir gewöhnen uns schnell an neue Erfolge, und was gestern wie ein Triumph wirkte, erscheint heute selbstverständlich. Der Kick verfliegt, und die Suche nach dem nächsten beginnt. Buchtipp an dieser Stelle Dopamine Nation von Anna Lembke.

Alte Programmierung

Warum wir diesem Kreislauf so schwer entkommen, liegt tief in unserer Biologie. In kleinen Jäger-und-Sammler-Gruppen war Anerkennung keine Nebensache, sondern Überlebensstrategie. Wer Ansehen hatte, konnte mit Nahrung, Schutz und Verbündeten rechnen. Wer übersehen wurde, lebte gefährlich. Diese Programmierung wirkt bis heute: Studien zeigen, dass soziale Anerkennung die gleichen neuronalen Pfade aktiviert wie Drogen. Der Neurobiologe Joachim Bauer bringt es im Gespräch mit der ZEIT auf den Punkt: “Neurobiologische Studien zeigen, dass nichts das Motivationssystem so sehr aktiviert, wie von anderen gesehen und sozial anerkannt zu werden”.

Der psychologische Kitt

Erfolg befriedigt gleichzeitig drei Grundbedürfnisse, die die Selbstbestimmungstheorie von Edward Deci und Richard Ryan beschreibt:

  • Autonomie - das Gefühl, das eigene Leben in der Hand zu haben.

  • Kompetenz - die Erfahrung, etwas bewirken zu können.

  • Zugehörigkeit - das Wissen, Teil einer Gemeinschaft zu sein

Doch dieser psychologische Kitt ist brüchig. Sobald der Rausch abebbt, spüren wir, dass Erfolg keine stabile Basis für Selbstwert ist. Genau deshalb kippt das Gefühl bei Menschen wie Phelps so drastisch - vom Hoch in die absolute Leere.

Warum wir nicht loslassen

So ergibt sich ein paradoxes Bild: Erfolg ist eine biologische Droge, ein kulturelles Versprechen und ein psychologisches Navigationssystem zugleich. Er gibt uns Halt – und macht uns müde. Er macht uns süchtig – auch wenn wir wissen, dass er uns krank machen kann.

Darum verschwindet „Old Success“ nicht einfach. Er steckt zu tief. In unseren Körpern, in unseren Geschichten, in unseren Erwartungen. Wir halten daran fest, nicht weil wir dumm wären, sondern weil es ein altes Programm ist, das man nicht einfach deinstalliert.

Die eigentliche Frage lautet also nicht: Warum glauben wir immer noch an Erfolg?

Sondern: Wie stillen wir dieselben Bedürfnisse – ohne dass uns der Rausch auffrisst?


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