Mit acht Jahren hatte ich eine genaue Vorstellung von Erfolg. Es war Sommer, es war heiß, und es gab nur eine logische Lösung für zwei Brüder mit einem kleinen Zimmer ohne Pool: Man musste einen erschaffen. So zog ich gemeinsam mit meinem Bruder einen Gartenschlauch quer durch die Wohnung, über Teppiche und Parkett, und flutete das Zimmer mit Wasser. Der Pegel stieg genau zwei Zentimeter, bevor unsere Mutter schreiend und hektisch das Projekt stoppte. Der einzige Grund, warum dieser Tag nicht in einer Familientragödie endete, war ein erstaunlich belastbarer Korkboden. 

War unser Pool-Projekt nun erfolgreich? Für mich schon. Wir hatten unser Ziel erreicht: Wasser im Zimmer, Abkühlung, Euphorie. Für meine Mutter dagegen dürfte sich der Begriff Erfolg an diesem Nachmittag fundamental anders angefühlt haben. Was mich damals nicht kümmerte, bringt mich heute ins Grübeln: Erfolg, dieses seltsame Konzept, hängt offensichtlich entscheidend vom Standpunkt ab.

Denn Erfolg ist gleichzeitig allgegenwärtig und doch schwer zu greifen, ein Chamäleon-Begriff, der je nach Betrachter:in Form und Farbe verändert. Für die ehrgeizige Marathonläuferin bedeutet Erfolg eine neue persönliche Bestzeit; für den Manager ist es das Übertreffen der Quartalsziele; für den Schriftsteller vielleicht, endlich das Buch zu veröffentlichen, das schon seit Jahren in ihm reift. Selbst die Aussteigerin im winzigen Haus, die sich nur noch von ihrem eigenen Gemüse ernährt, mag zutiefst erfolgreich sein. Doch seltsamerweise erkennen wir sie selten als solche an.

Denn sobald wir allgemein über Erfolg sprechen, meinen wir oft etwas anderes: Wohlstand, Anerkennung, Status. Erfolg ist dann das, was wir anderen vorzeigen, etwas, worauf wir stolz sind, das uns erhöht. Eine tief verinnerlichte gesellschaftliche Norm, die gleichzeitig starr und unsichtbar ist, prägt unser Verständnis. So kommt es, dass wir, obwohl wir nicht selten von „individuellem Erfolg“ reden, unsere privaten Ziele unbewusst an Maßstäben messen, die nicht von uns selbst stammen. Wir glauben, Erfolg selbst zu definieren – und folgen dennoch oft nur einem Skript, das andere für uns geschrieben haben.

Ich selbst bin mit diesem Widerspruch seit meiner Kindheit vertraut. Meine frühen Projekte – das Detektivbüro im Lüftungsschacht, die illegale Comic-Bibliothek in der Grundschule, das heimliche Lagerfeuer unter der Bahnbrücke – waren allesamt kleine Versuche, dem grauen Alltag eigene Versionen der Realität entgegenzusetzen. Dabei war ich schon als Kind getrieben von der Lust am Planen und Machen. Ziele stecken und verfolgen. Heute glaube ich: Erfolg bedeutet nicht nur, irgendwelche Ziele zu erreichen, sondern auch, die richtigen Ziele zu setzen. Doch wie unterscheidet man das eine vom anderen?

Genau dieser Frage möchte ich hier nachgehen. Denn wer über Erfolg spricht, spricht letztlich über die Gesellschaft, in der wir leben wollen – und über das Leben, das wir selbst führen möchten.

Erfolg | Erfọlg | der

Substantiv, maskulin

Denn in nahezu allen menschlichen Lebensbereichen bestimmen wir Formen des Erfolgs: im Sport ist er messbar durch Zeiten, Siege oder Platzierungen. In der Schule durch Noten, Zeugnisse, Abschlüsse. Im Spiel geht es meist um Dominanz – seltener darum, das gemeinsame Ziel zu erreichen oder ein kniffliges Rätsel zu lösen. Erfolg ist für uns also zunächst: Zielerreichung. Der Moment, wenn das Gewünschte Wirklichkeit wird.

So hat sich in unserer heutigen Gesellschaft eine bestimmte Vorstellung von Erfolg durchgesetzt – eine, die den beruflichen Kontext dominiert. Wer heute sagt: „Sie ist erfolgreich“, meint selten, dass jemand besonders liebevoll, klug oder gelassen ist. Gemeint ist fast immer ein sichtbarer beruflicher Aufstieg: Position, Einkommen, Einfluss. Es ist bemerkenswert, wie stark der Begriff „Erfolg“ mit Kapital und Macht verknüpft ist – und wie wenig Raum andere Formen des Gelingens in der öffentlichen Wahrnehmung erhalten.

Selbst der sogenannte persönliche Erfolg – oft definiert als Glück, Selbstverwirklichung oder innere Balance – ist nicht wirklich frei davon. Die Frage nach dem Purpose, dem Sinn im Leben, landet meist schnell bei der Arbeit: Was ist mein Beitrag? Was bewirke ich? Und wie kann ich mit dem, was ich tue, gesellschaftliche Anerkennung erlangen?

Und selbst, wenn man sich in der Freizeit in sozialen, politischen oder wirtschaftlichen Sphären betätigt, besteht ein impliziter Unterschied: Berufliches Engagement zählt als Arbeit. Ehrenamtliches hingegen wird oft als Engagement bezeichnet – mit dem unausgesprochenen Zusatz: nicht ganz ernst zu nehmen, nicht ganz „richtig“.

Diese Unterscheidung verweist auf eine tiefsitzende Verknüpfung: Erfolg ist nicht nur Zielerreichung, sondern auch ökonomische Verwertbarkeit. Wer mit seiner Tätigkeit Geld verdient, gilt als produktiv – und damit als erfolgreich. Wer das nicht tut, muss sich häufig rechtfertigen.

So scheint es eine Art universelles Einverständnis darüber zu geben, was Erfolg bedeutet, selbst wenn wir uns schwer damit tun, es auszusprechen. Man spürt es einfach: bei Klassentreffen, Familienfeiern und Gesprächen an der Bar. Erfolg ist oft nicht das, was uns innerlich erfüllt, sondern das, was andere an uns bewundern. Der gesellschaftliche Blick wird integraler Bestandteil unseres Selbstwertgefühls. Und der eigentliche Kern des Erfolgsbegriffs ist möglicherweise gar nicht das Erreichen eines bestimmten Ziels, sondern vielmehr das Gefühl, gesehen, anerkannt und bestätigt zu werden.

In den sozialen Medien wird das auf die Spitze getrieben. Denn bei TikTok und Instagram sehen wir idealisierte Leben: Reisen an entlegene Orte, der Körper in der perfekten Yoga-Pose, der neue Job, das Haus am Meer. Nicht nur sehr junge Menschen werden vom Glauben unter Druck gesetzt, genau das anstreben zu müssen. Auch wenn sie insgeheim wissen, dass vieles davon inszeniert ist. Dieses Paradoxon der Moderne – einerseits den Erfolg individuell definieren zu wollen, andererseits ständig im Spiegel der Öffentlichkeit zu stehen – erzeugt eine kollektive Identitätskrise.

Doch dieser Blick von außen ist auch Trends und kulturellem Wandel unterworfen: Ein Manager, der 100 Stunden pro Woche arbeitet, galt früher als Symbol des Erfolgs; heute wird derselbe Mensch möglicherweise bemitleidet oder kritisiert, weil ihm offenbar die Balance zwischen Beruf und Privatleben fehlt. Was im einen Jahrzehnt gefeiert wird, kann im nächsten verurteilt werden. Solcher Erfolg steht auf hölzernen Beinen.

Erfolg kann alles sein – und ist gerade deswegen oft so wenig. Der Begriff ist fluide, manchmal fast leer, eine Leinwand, auf die wir unsere Wünsche und Ängste projizieren. Das bedeutet aber auch, dass wir uns fragen müssen, wessen Anerkennung wir eigentlich suchen. Ist Erfolg das, was uns glücklich macht, oder ist Erfolg das, was andere Menschen glauben lässt, wir seien glücklich?

Genau hier liegt für mich das Problem, und genau hier beginnt die Suche nach einer neuen Definition von Erfolg. Es lohnt sich, die Ränder des Erfolgsbegriffs in den Blick zu nehmen: seine scheinbar nebensächlichen, unspektakulären oder nicht-kommerziellen Formen. Dort könnte noch Raum sein für ein neues, vollständigeres Verständnis dessen, was das heute heißt: erfolgreich zu sein.

Der Vergleich: Motor und Falle

Erfolg, das haben wir festgestellt, braucht ein Publikum. Eine Bühne. Einen Maßstab. Ich schaue auf den Wagen meines Nachbarn, um zu wissen, ob mein Auto gut genug ist. Ich vergleiche mein Gehalt mit dem meiner Kolleg:innen, um sicherzugehen, dass ich gerecht behandelt werde. Ich prüfe mein Spiegelbild nicht nur, um mich wohlzufühlen, sondern auch um sicherzustellen, dass ich im Vergleich mit anderen attraktiv genug bin.

Vergleich ist ein evolutionär verankertes Verhaltensmuster. Unsere Vorfahren mussten wissen, wer der schnellste Läufer, der beste Jäger, der klügste Anführer war. In der digitalisierten Moderne hat sich dieses Verhaltensmuster jedoch auf destruktive Weise verselbständigt. Wir vergleichen Einkommen, Körperformen, Urlaubsziele – selbst unser moralisches Verhalten wird im Wettbewerb gespiegelt. Das Streben nach Anerkennung, der Wunsch, in den Augen anderer Menschen gut dazustehen, wurde schon vor Jahrhunderten vom Philosophen Jean-Jacques Rousseau beschrieben, der zwischen „amour de soi“ (der gesunden Selbstliebe) und „amour propre“ (der Anerkennungssucht) unterschied. Rousseau warnte bereits damals davor, sein Leben nach den Erwartungen anderer auszurichten – und doch ist genau dies heute zentraler Bestandteil unseres Alltags. Wir wollen einzigartig sein, aber wir wollen es auf eine Weise sein, die von außen bestätigt wird. Ein innerer Widerspruch, den unsere moderne Gesellschaft nicht lösen, sondern nur verschärfen kann.

Ein Gedankenspiel kann dies verdeutlichen: Würde mich Geld, Status oder Macht überhaupt interessieren, wenn ich der letzte Mensch auf der Erde wäre? Angenommen, eine mysteriöse Epidemie vernichtet die gesamte Menschheit, bis auf mich. Roboter versorgen mich mit allem Lebensnotwendigen, doch außer mir gibt es niemanden mehr, der mich bewundert oder beneidet. Hätte es dann noch Sinn, Reichtümer anzuhäufen, ein teures Auto zu besitzen, ein großes Haus zu bauen? Würde Erfolg in diesem Szenario überhaupt noch existieren?

Die ehrliche Antwort ist unbequem, aber offensichtlich: wahrscheinlich nicht. Ohne andere Menschen, die bewerten, bestätigen oder beneiden könnten, verliert Erfolg nach heutigen Maßstäben seine Kraft. Das bedeutet jedoch nicht, dass jeder Wunsch nach Anerkennung falsch wäre – schließlich ist unser Streben nach sozialem Status tief im menschlichen Verhalten verwurzelt. Es bedeutet vielmehr, dass wir uns bewusst sein sollten, wann dieses Streben uns antreibt und wann es uns gefangen hält.

Die Gefahr der Vergleichsfalle liegt darin, dass sie niemals endet. Es wird immer jemanden geben, der schneller läuft, besser aussieht, mehr verdient oder ein beeindruckenderes Haus besitzt. Das permanente Messen am Leben anderer führt nicht zu dauerhaftem Glück, sondern zu einer chronischen Rastlosigkeit. 

Was wir brauchen, ist vermutlich nicht die völlige Abschaffung des Vergleichs – denn ohne ihn fehlt uns vielleicht der Antrieb, uns weiterzuentwickeln. Doch wir brauchen dringend eine neue Perspektive darauf, was und wen wir miteinander vergleichen. Und ob wir uns mit den Zielen, die wir verfolgen, tatsächlich identifizieren können.

Vielleicht liegt der wahre Erfolg liegt nicht darin, besser als andere zu sein – sondern darin, mehr und mehr wir selbst zu werden?

Unser modernes Dilemma

Unser heutiges Verständnis von Erfolg ist nicht vom Himmel gefallen. Es ist das Ergebnis jahrhundertelanger Ideen und Narrative – und hat sich in entscheidenden Momenten der Geschichte gewandelt. Schon Aristoteles sprach von „Eudaimonia“, der Glückseligkeit, die sich einstellt, wenn ein Mensch tugendhaft lebt und seiner inneren Bestimmung folgt. Für Rousseau war Erfolg nur dann sinnvoll, wenn er aus dem „amour de soi“, also der gesunden Selbstliebe, hervorgeht – nicht aus der Suche nach gesellschaftlicher Anerkennung. Und Karl Marx wiederum bennante, wie sehr gesellschaftlicher Status und wirtschaftlicher Erfolg ein Spiegel der Produktionsverhältnisse sind – und nicht unbedingt Ausdruck individueller Leistung oder Würde.

Doch eine tiefgreifende Verschiebung fand zu Beginn des 20. Jahrhunderts statt. Mit der Industrialisierung und der wachsenden Bedeutung von Effizienz und Leistung begann sich ein neues Erfolgsverständnis durchzusetzen: Erfolg war fortan nicht mehr nur ein philosophisches Ideal oder ein persönliches Ziel, sondern wurde zunehmend messbar, standardisiert, vergleichbar.

In dieser Zeit, zwischen Europa und den USA, etablierte sich eine regelrechte Bewegung der Selbstoptimierung. In München prägte Gustav Grossmann maßgeblich diesen Wandel: Als einer der ersten systematisierte er die Idee, dass man aus sich selbst „etwas machen“ könne – und müsse. Seine Schriften kreisten um die Frage, wie sich der Mensch durch tägliches Training, Zielklarheit und mentale Disziplin zu einer erfolgreichen Persönlichkeit formen kann. Auch in den USA entstand eine Vielzahl von Ratgebern, die versprachen, aus allen Gewinner*innen zu machen– wenn man nur die richtigen Methoden anwendete. Erfolg wurde zur Technik, zur Strategie, zur Pflicht.

Dieser Gedanke, dass jeder Mensch für seinen Erfolg selbst verantwortlich ist – und Misserfolg somit auch als persönliches Versagen gelesen werden kann –, hat sich tief in unsere westlichen Gesellschaften eingeschrieben. Die heutige Arbeitswelt trägt dieses Erbe in sich: Sie fordert ständige Weiterentwicklung, Flexibilität, Selbstführung. Wer scheitert, hat eben nicht genug an sich gearbeitet. Wer bestehen will, muss liefern.

Der digitale Kapitalismus hat dieses Denken noch verschärft. In der durchgetakteten Welt von KPIs, Plattformarbeit und Selbstvermarktung sind wir selbst zum Echtzeitprojekt geworden. 

Die Frage, was Erfolg ist, ist dadurch nur dringlicher geworden. Denn wenn er zur Dauerpflicht wird, verlieren wir die Freiheit aus den Augen, ihn für uns selbst zu definieren.

Eine neue Haltung zum Erfolg

Vielleicht geht es also gar nicht darum, Erfolg für alle Menschen neu zu definieren. Vielleicht geht es viel eher darum, ihn wieder in die eigene Hand zu nehmen.

Mein Ansinnen ist nicht bestimmte Formen von Erfolg zu verteufeln. Weder Geld noch Status noch Anerkennung sind per se falsch – sie können Ausdruck von Leistung sein, von Ideen, die aufgegangen sind, von Lebensentwürfen, die sich richtig anfühlen. Was wir jedoch dringend brauchen, ist eine bewusste Haltung: ein Innehalten vor dem nächsten Ziel, ein kurzes Fragen, bevor wir weiterlaufen.

Warum will ich das? Woher kommt dieser Wunsch? Und: Was kostet er mich?

Erfolg, das zeigt sich immer wieder, ist nicht nur das, was wir erreichen, sondern auch das, was wir auf dem Weg dorthin opfern. Zeit, Ruhe, Beziehungen, Überzeugungen – der Preis bleibt oft unsichtbar, bis er zu hoch geworden ist. Wer erfolgreich sein will, ohne sich selbst dabei zu verlieren, muss nicht unbedingt weniger wollen, aber wissen, warum er es will. Die Haltung ist entscheidend.

Vielleicht kann Erfolg in Zukunft vieles sein: innerlich verankert und äußerlich wirksam, leise und doch sichtbar, sinnstiftend statt statussichernd. Helfen könnte dabei eine simple Frage, die wir uns viel zu selten stellen: Wessen Ziele verfolge ich eigentlich?

Genau an dieser Stelle möchten wir mit New Success ansetzen. Nicht, um sämtliche alten Erfolgsbilder niederzureißen – sondern um Raum zu schaffen für neue. Für Perspektiven, die nicht immer lauter, schneller, weiter heißen, sondern auch mal: klüger, ehrlicher, verbundener. Wir wollen Stimmen sammeln, Fragen stellen, Geschichten hören. Und gemeinsam herausfinden, wie ein gesunder Umgang mit Erfolg heute aussehen kann.

Nicht als finale Antwort. Sondern als Einladung zur Suche. 


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