Eins vorweg: Mir ist bewusst, dass ich mich in einer verdammt privilegierten Position befinde. Ich kann so entspannt über meine vergangene Arbeitslosigkeit schreiben, weil ich sie mir  (mehr oder weniger) selbst ausgesucht habe. Weil ich mich nicht in eine finanzielle Notlage begebe, wenn ich über einen kürzeren Zeitraum keine Einnahmen beziehe. Weil ich ein starkes soziales Umfeld habe, das mich auffängt. Und weil meine Chancen, wieder eine Stelle zu finden, besser sind als die vieler anderer.

Es war Frühling und ich war fast 30, als ich eine Entscheidung traf: Ich kündigte meinen Job, um ein neues Studium zu beginnen. Doch schon nach einem Semester wusste ich: Das ist nichts für mich. Also brach ich ab. Und stand da. Planlos, verwirrt und vor allem: arbeitslos. In meinen alten Job zurück? Kam für mich nicht in Frage. "Es wird sich schon was finden", redete ich mir ein. Doch es fand sich: nichts.

Statt Einladungen zu Bewerbungsgesprächen hagelte es Absagen. Also beschloss ich, mir eine Pause zu nehmen – vom strukturlosen Alltag, vom nervösen Durchscrollen der Jobbörsen, von den gut gemeinten, aber anstrengenden Nachfragen meiner Freund:innen: „Und, wie lief die letzte Bewerbung?“ Also fuhr ich los, Richtung Osten. Doch die Fragen verfolgten mich.

Egal, wen ich auf dieser Reise kennenlernte, eine der ersten Fragen war immer: Und was machst du so? Und damit war nicht gemeint, was ich jetzt gerade in diesem Moment tue. Oder welche Hobbys ich habe, obwohl mein Mountainbike prominent am Fahrradträger prangte. Es meinte vor allem eins: Was ist dein Beruf? Wie verdienst du dein Geld? Womit füllst du deinen Alltag?

Learning #1: Mein Selbstwert ist mehr an meine Arbeit geknüpft, als mir lieb ist.

Eigentlich ist die Frage okay. Sie ist legitim. Und zugegebenermaßen ist sie auch interessant. Aber sie kann auch nerven, gerade wenn man arbeitslos ist. Dann kann sie sich anfühlen wie ein Schlag in die Magengrube.

Denn wer arbeitet, ist etwas. Wer nicht arbeitet, ist nichts. Zumindest waren das meine Gedanken. Ich musste niedergeschlagen feststellen: Meinen Wert messe sogar ich selbst daran, was ich tue. Oder besser: womit ich Geld verdiene. Und obwohl ich nur fünf Monate arbeitslos war und ich in dieser Zeit selten das Gefühl der Langeweile hatte, schämte ich mich. Dafür, nicht erwerbstätig zu sein. Dafür, kurzzeitig kein Teil der erwerbsarbeitenden Gesellschaft zu sein. Dafür, in den Augen anderer als faul zu gelten.

Sobald mich jemand fragte, was ich machte, und ich keine Berufsbezeichnung nennen konnte, fühlte ich mich wie eine Hülle. Wie jemand, der auf Standby geschaltet war und nur darauf wartete, wieder in den Arbeitsmarkt eingespeist zu werden.

Mit diesem Gefühl bin ich nicht allein: Arbeit erfüllt Funktionen, die über das bloße Einkommen hinausgehen. "Arbeit sorgt neben dem finanziellen Einkommen für den Lebensunterhalt für die Schaffung einer Zeitstruktur und für das Einbinden der Menschen in kollektive Ziele", sagt Hannah Quinz, die am Institut für Soziologie der Universität Wien tätig ist und sich in ihrer Forschung intensiv mit Arbeitsmarktpolitik und sozialen Ungleichheiten auseinandersetzt. "Arbeit hält aktiv, ermöglicht Anerkennung und soziale Kontakte. Wenn sie wegfällt, fallen oft auch diese zentralen Funktionen weg." 

Arbeit gibt mir mehr Struktur, mehr Sinn und ein stärkeres Gefühl von Zugehörigkeit, als ich dachte. Sie macht mich aus. Oder vielmehr: Sie macht mich zu jemandem. Zu jemandem, der eine Funktion erfüllt, ein Ziel hat, einen Wert produziert. 

Learning #2: Freiheit fühlt sich nicht gut an, wenn ich mich nach Zugehörigkeit sehne.

Im ersten Moment meiner Arbeitslosigkeit hatte ich nur ein Ziel: meine freie Zeit genießen. Erst war es herrlich: keine Meetings, kein Wecker, keine Verantwortung. Endlich Zeit für Freund:innen, Kuchen backen und soziales Engagement. Ich konnte ausschlafen, Kaffee trinken, wann ich wollte, und mich der Illusion hingeben, dass ich in meiner freien Zeit unglaublich produktiv sein würde.

Doch nach etwa sechs Wochen war die Euphorie verflogen. Mein Alltag wurde ein zielloses Dahintreiben. Alle um mich herum hatten wieder ihren gewohnten Rhythmus, während ich mich wie eine Statistin in meinem eigenen Leben fühlte. Die Freiheit, nach der ich mich so sehr gesehnt hatte, war plötzlich nicht mehr so glamourös. Sie war nicht das Problem – aber das Fehlen eines Rahmens, einer Aufgabe, die mich einband, sehr wohl.

Wie schon soziale Theorien wie die "Latenten Funktionen von Arbeit"  von Marie Johada aus 1983 zeigen: Arbeit sichert nicht nur Einkommen, sondern auch soziale Kontakte. Sie ist sinnstiftend und gibt Struktur. Ohne eine Tätigkeit, die gebraucht wird, fällt es schwer, sich selbst Bedeutung zuzuschreiben. Ich merkte: Es geht nicht nur darum, Zeit zu haben, sondern auch darum, Teil von etwas zu sein.

Und solange wir in einer von Kapitalismus geprägten Welt leben, heißt das: Teil der erwerbsarbeitenden Bevölkerung zu sein.

Learning #3: Ich habe selbst zu oft die falschen Fragen gestellt. 

Es ist erstaunlich, wie viel Macht in einer einzigen Frage steckt. Eine falsche Frage kann einen in die Enge treiben, eine richtige kann neue Türen öffnen. Doch lange Zeit hatte ich mir darüber keine Gedanken gemacht. "Und was machst du so?" war für mich ein unverrückbares Gesetz der zwischenmenschlichen Kommunikation – so selbstverständlich wie das Wetter als Notfallthema in Fahrstühlen.

Aber in der Arbeitslosigkeit wurde mir bewusst: Diese Frage ist nicht neutral. Sie bewertet. Sie trennt zwischen "produktiven" und "unproduktiven" Menschen, zwischen denen, die in der Gesellschaft scheinbar einen Platz haben, und denen, die erst eine Daseinsberechtigung suchen müssen. Und ich hatte sie nicht nur anderen gestellt, sondern vor allem mir selbst – mit einer Strenge, die rückblickend ziemlich unfair war.

Ich begann, umzudenken. Statt in den Kategorien von Jobtiteln zu denken, suchte ich nach besseren Anknüpfungspunkten. Was, wenn ich stattdessen fragte: "Was begeistert dich gerade?" oder "Was würdest du machen, wenn du niemandem etwas beweisen müsstest?" Plötzlich bekam ich Antworten, die ehrlicher klangen, die nicht aus dem Reflex heraus kamen, sich möglichst kompetent und effizient darzustellen. Und mit der Zeit veränderte sich auch mein eigener Blick auf mich selbst.  Ich habe gelernt, dass Freiheit ohne Zugehörigkeit sich zwar seltsam leer anfühlen kann. Dass es aber nicht nur darum geht, Arbeit zu haben, sondern auch darum, was sie mit mir macht. 

Arbeit ist wichtig, keine Frage. Aber sie ist nicht das einzige, was Menschen interessant oder wertvoll macht. Nicht "Was machst du?", sondern "Was bewegt dich?" bringt uns wirklich weiter. Und wenn ich etwas aus dieser Zeit mitgenommen habe, dann das: Eine gute Frage kann ein Gespräch verändern – und manchmal auch die ganze Sicht auf die Welt.


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